Nach vier Wochen Südafrika fühlen wir uns prima, wir kennen uns schon ein bisschen aus und wissen wie bestimmte Dinge hier so ablaufen. Aber es wird Zeit für uns, einmal das gesicherte Touristengebiet zu verlassen und das echte Leben in Südafrika zu schnuppern. Wir besuchen eine Community am Mdumbi River und werden bei Lu und Otto übernachten. Die beiden haben sich vor neun Jahren entschieden, aus ihrem gesicherten Leben auszusteigen, haben sich eine kleine Oase weit weg von der Zivilisation geschaffen und leben dort mit ihrem kleinen Engel Coral Bella. Beim Kontakt im Vorfeld stellt sich heraus, dass die ältere Tochter von Lu in Port Elizabeth lebt und da der Weg sehr weit ist, sich die beiden nicht oft sehen und Sadie bald ein Baby bekommt, sind wir eine perfekte Mitfahrgelegenheit für sie und ihren Freund Dylan. Wir haben schon gehört, dass der Weg zum Mdumbi nicht ganz einfach sein wird, aber was uns dann wirklich erwartet, haben wir uns nicht träumen lassen. Die ersten sechs Stunden Autofahrt laufen wie am Schnürchen, auf der Autobahn N2 ist das auch kein Problem. Dennoch spüren wir, wenn wir durch die Städte fahren oder anhalten, um uns einen Kaffee zu kaufen, dass wir das wohl behütete Touristengebiet mit schicken Hotels und Restaurants hinter uns gelassen haben. Die Städte entlang der N2 zu durchqueren, ist für uns schon ein Erlebnis, da wir bisher nur den geordneten europäischen Straßenverkehr gewohnt sind. Alles läuft, fährt, reitet und schreit durcheinander. Verkehrsregeln scheint es nicht zu geben, weder für Fahrzeuge noch für Fußgänger – wer zuerst kommt, fährt (geht) zuerst. Von außen betrachtet sieht das Ganze aus wie ein riesiges Chaos, aber erstaunlicherweise kommt irgendwie jeder sicher ans Ziel. Irgendwann müssen wir die Autobahn verlassen und damit verlassen wir auch die geteerten Straßen, was die erste Stunde kein Problem ist, das sind wir ja schon gewohnt. Leider bleibt es nicht bei sandigen Pisten, denn irgendwann gibt es nur noch Wege, die aus Schlaglöchern bestehen. Ihr könnt uns glauben, so etwas haben wir noch nie gesehen, geschweige denn befahren. Die vom Regen ausgespülten Löcher sind manchmal so lang wie LKWs und so tief wie Badewannen, wenn 10 kmh auf dem Tacho stehen, fahren wir schnell. Bald wird es auch noch dunkel und zur Krönung gibt es Regen und ein kräftiges Gewitter. Uns dann passiert etwas unheimliches, hinter unserem Auto gibt es einen hellen Blitz, einen kräftigen Einschlag und dann fängt es direkt an zu brennen. Oh mein Gott, das war total verrückt, wir wissen nicht genau, ob der Blitz in einen Baum oder einen Strommast eingeschlagen ist. Fakt ist, dass wir vor ein paar Minuten genau dort entlang gefahren sind. Irgendwann lassen Regen und Gewitter nach, aber die Straße wird nicht besser und da wartet auch schon die nächste Überraschung. Auf dem Weg steht eine ganze Herde Rinder, die sich von unserem Auto nicht vertreiben lassen. Mit lautem Hupen fahren wir ganz langsam so dicht an den Bullenhörnern vorbei, dass wir jeder Zeit damit rechnen, von einem Bullen aufgegabelt zu werden. Aber alles Klagen hilft nicht weiter, wir müssen irgendwie da durch. Diese Tortur werden wir noch dreimal überstehen, bis wir dann endlich nach mühseligen und quälenden drei Stunden auf diesem Höllenweg an unserem Ziel sind. Keiner von uns hatte die Idee oder Lust irgendetwas von diesem Horror mit dem Fotoapparat festzuhalten. Wir können nur ein Foto vom Anfang der Tour präsentieren, wo die Welt noch in Ordnung war. An diesem Abend passiert nicht mehr viel, wir werden begrüßt, bekommen noch ein Abendessen und dann geht es ab ins Bett.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, sehen wir erst, dass wir mitten im Paradies gelandet sind.
„Schlechte Straßen führen oft zu den schönsten Orten.“
Autor Unbekannt
Die Unterkunft ist kein Sterne Hotel, es ist alles sehr einfach, wir haben in unserem Zimmer ein Bett und eine Kommode. Nachttischlampe oder ähnliches macht keinen Sinn, denn es gibt keine Steckdosen und Tisch und Stühle sind überflüssig, denn das Leben spielt sich draußen ab. Es gibt eine große Küche mit einem Kühlschrank und einem kleinen Herd um Wasser heiß zu machen, gekocht wird draußen am Feuer. Fließendes Wasser sucht man hier vergeblich und das bisschen Strom, was gebraucht wird, bringt die Sonne, die den ganzen Tag unablässig scheint. Also ihr merkt schon, um hier zu wohnen, darf man nicht sehr anspruchsvoll sein. Aber dieses einfache Leben findet an einem der schönsten Orte statt. Die kleine Wohneinheit steht auf einer Anhöhe und es sind nur wenige Schritte bergab bis zur Flussmündung des Mdumbi in den Indischen Ozean. Man kann also entscheiden, ob man sich in die kalten, wilden Wellen des Ozeans stürzen oder im warmen Fluss baden will und das Beste dabei ist, man ist völlig alleine an diesem wunderschönen Fleckchen Erde.
Wenn ihr denkt, die 60iger sind vorbei, dann solltet ihr mal zu Lu und Otto fahren, da kann man nämlich eine Zeitreise machen und alles finden, was diesem Klischee entspricht. Trotzdem haben wir bei dem ganzen Hippiedasein eines vermisst – die Akzeptanz gegenüber den Menschen, die sich entschieden haben anders zu leben. Wenn man schon Freiheit predigt, dann sollte es auch Freiheit für alle sein. Wir finden es toll, für drei Tage das Leben mit den beiden zu teilen und in ihre kleine Welt einzutauchen, aber auf Dauer wäre dies keine Option für uns.
Das wir Krabbeltiere in unserem Zimmer haben und lauter kleine Drachen die Wände hoch und runter kriechen ist für uns kein Problem, aber als Sadie von einer Schlange gebissen wird, finden wir das nicht mehr so lustig. Erstaunlicherweise sind alle ziemlich ruhig geblieben. Da wird das nächste Krankenhaus angerufen und gefragt, was man machen kann und irgendwann stellte sich dann heraus, das diese Schlange zum Glück nicht giftig war. Alle sind natürlich sehr erleichtert. Nach dem Schrecken gibt es einen kleinen Ausflug. Es sind noch drei andere Gäste da, zwei Tattoo-Künstler und ein DJ aus London, der mit uns sogar ein bisschen deutsch spricht, da er öfter in Berlin und München auflegt. Mit einem motorbetriebenen Floß schippern wir alle gemeinsam über den Mdumbi River, es wird geangelt, gebadet und geplaudert – ein gelungener Nachmittag. Ansonsten gibt es für uns keine Unternehmungen, wir genießen die Ruhe, spazieren am Strand entlang, baden im warmen Fluss, spielen Backgammon oder plaudern mit Sadie und Dylan – was man halt so macht im Paradies. Die Tage gehen früh zu Ende, schon gegen 19:00 Uhr werden wir mit einem grandiosen Sonnenuntergang in die Nacht geschickt.
Bei soviel Freizeit sind unsere kleinen Vorräte an Bier und Zigaretten bald aufgebraucht, da haben wir ein kleines Problem, denn einen Laden um einkaufen zu gehen, gibt es hier nicht. Aber wir werden zu einer Frau in der Nachbarschaft geschickt, die uns helfen kann. So haben wir die Gelegenheit, einmal in die kleine Hütte einer Familie zu schauen. Es gibt zwei Räume, in einem stehen drei Betten und ein Schrank, im anderen steht ein Sofa und eine Kühltruhe – das war’s, mehr haben die Menschen hier nicht. Aber aus dem Schrank zaubert die nette Schwarzafrikanerin zwei Schachteln Zigaretten und aus der Kühltruhe zwei Bier für uns. Für alles zusammen will sie 80 ZAR haben, das sind umgerechnet ca. 5,-€, also geben wir ihr 100 ZAR. Als sie merkt, dass sie alles behalten kann, fällt sie uns beiden um den Hals, läuft freudestrahlend und laut rufend mit ihrem 100 Randschein ins Nachbarhaus und lässt uns erstaunt zurück. Das waren ungefähr 1,20€ Trinkgeld und wir wissen gar nicht, wie wir damit umgehen sollen. Einerseits ist da die Freude über das Glücksgefühl der Frau, dies mischt sich aber ganz schnell mit Scham – dieses bisschen Geld ist in unseren Augen nichts und bei ihr reicht es für Freudenschreie. Darüber machen wir uns noch lange Gedanken, es gibt viele Menschen hier, die uns um eine Spende bitten. Wo fängt man da an und wo hört man auf und hilft dieser eine Euro den Menschen wirklich weiter?
Auch für Sadie und Dylan sind drei Tage in der Wildnis genug, also nehmen wir sie wieder mit zurück bis zur nächsten größeren Stadt. Auf dem Weg können wir nun bei Tageslicht das sehen, was uns bei unserer Ankunft verborgen geblieben ist. Die wunderschöne grüne Landschaft, durch die sich der Fluss schlängelt und die vielen kleinen Dörfer ergeben einen phantastischen Anblick. In Mthatha müssen wir uns von Sadie und Dylan verabschieden, sie sind beide ungefähr so alt wie unsere Kinder und wir haben ein paar wirklich schöne Stunden miteinander verbracht. Wenn das Baby da und das Studium abgeschlossen ist, wollen sie durch Europa reisen und dann werden wir uns in Deutschland wiedersehen.
Dear Sadie, dear Dylan, we wish you the best for your little family. It was great to be together with you. We look forward to see you again. Contact us if you are in Germany.