Heute machen wir unsere erste länderübergreifende Busfahrt, es geht von Ushuaia nach Punta Arenas in Chile. Natürlich könnte man die fast 700 km auch mit dem Flugzeug überwinden, aber wir wollen einen Eindruck von der Landschaft bekommen, also nehmen wir das populärste und wichtigste Verkehrsmittel in Südamerika. Wenn man nicht wenigstens einmal mit dem Bus gefahren ist, dann war man nicht in Südamerika, heißt es hier so schön. Also nehmen wir Platz und lassen uns überraschen. Stundenlang fahren wir auf staubigen Pisten durch die Pampa, da gibt es außer der trockenen Steppe nicht viel zu sehen, aber auch das hat seinen ganz eigenen Reiz. Um die Mittagszeit passieren wir die Grenze und auf der argentinischen Seite wird da nicht viel Rummel gemacht – Stempel rein in den Pass und weiter geht’s. Die chilenischen Behörden nehmen es da schon etwas genauer. Es dürfen keine frischen Nahrungsmittel über die Grenze transportiert werden. Einige Mitreisende wussten wohl nicht Bescheid, denn als uns die Busfahrer darüber informierten, ging im Bus das große Fressen los. Belegte Brötchen, Käse, Salami und jede Menge frisches Obst kommen zum Vorschein und werden verteilt, in der Hoffnung, dass die wertvollen Lebensmittel noch in einem Magen Platz finden, denn auf Anweisung des Busfahrers landet der Rest im Müll. Schade drum! Im Kontrollhäuschen müssen wir eine ganze Weile warten und bekommen die Gelegenheit einmal zu schauen, was passiert, wenn man die Vorschriften missachtet. Eine ältere Dame hat ein Sechserpack Eier im Gepäck, nachdem sie eine ausführliche Belehrung erhalten, eine saftige Geldstrafe bezahlt, die Eier zerstört und in den Müll geworfen hat, war das anfängliche Lächeln aus ihrem Gesicht verschwunden. Auch unser Handgepäck wird sehr genau kontrolliert und schnüffelnde Hunde kümmern sich um Rucksäcke und Koffer. Die Chilenen werden gerne die „Preußen Südamerikas“ genannt, denn über diese disziplinierte Einhaltung von Regeln kann man im Rest von Südamerika nur schmunzeln. Nach einer Stunde kann die Fahrt dann weiter gehen. Als wir kurz vor unserem Ziel mit der Fähre übersetzen, pfeift uns ein kalter Wind um die Ohren, glücklicherweise haben wir das mit den rauen Wetterbedingungen schon geprobt. Gut verpackt und ausgerüstet mit Mütze und Schal kommen wir in unserem Hostel in Punta Arenas an. Die Begrüßung fällt weit weniger herzlich aus, als wir es von Argentinien gewohnt sind, aber dies ist unser erster Kontakt – also viel zu früh, um sich ein Urteil zu erlauben.
Irgendwie fehlt uns zur Zeit der Antrieb, seit der Rückkehr aus der Antarktis fühlen wir uns ein bisschen schwermütig und es herrscht eine merkwürdige Leere in uns. Um diese zu füllen, machen wir uns auf, um Punta Arenas zu erkunden. Leider ist das Ganze nicht von Erfolg gekrönt, denn ein Blick von oben auf die Stadt, das Denkmal von Ferdinand Magellan, eine Kirche und ein etwas außergewöhnlicher Friedhof und schon hat man alles Sehenswerte erforscht. Wir bleiben nur eine Nacht, hätten aber auch nichts verpasst, wenn wir nicht hergekommen wären. Mit ca. 120.000 Einwohnern ist es wohl die größte Stadt hier im Süden Patagoniens, aber den Streit um die Ehre die südlichste Stadt der Welt zu sein, hat sie geographisch gesehen gegen Ushuaia verloren und auch sonst kann man sie als Konkurrenz getrost vergessen.
Also hocken wir uns wieder in den Bus und fahren bis Puerto Natales, hier haben wir ein kleines Apartment und können uns mal wieder richtig ausbreiten und uns etwas Leckeres kochen. Außerdem besorgen wir uns Tickets für eine geführte Tour durch den Nationalpark Torres del Paine. In dem riesigen Park kann man mehrere Tage verbringen und auf vielen Wanderwegen das Gelände erkunden. Doch wir nehmen uns nicht so viel Zeit und wollen uns bei einer Tagestour wenigstens einen Eindruck verschaffen. Gleich am nächsten Tag geht es los, schon um sieben Uhr werden wir abgeholt. Die erste Station ist die Höhle des Mylodon, die sich noch vor den Toren des Parks befindet. Der deutsche Kapitän und Entdecker Hermann Eberhard fand Ende des 1900 Jahrhunderts in dieser Höhle Fell- und Knochenreste von Riesenfaultieren, die in prähistorischer Zeit nur in Südamerika beheimatet waren. Uns bleibt nur eine Stunde Zeit, um die Gegend zu erkunden, obwohl es viel mehr zu sehen gibt und wir locker drei Stunden hier verbracht hätten, aber so ist das halt, wenn man sich einer Bustour anschließt.
Im Laufe des Tages stellen wir immer wieder fest, dass wir beim Reisen nicht gruppentauglich sind. Wir werden von einem wunderschönen Ort zum nächsten gekarrt, doch die Zeit, um das Ganze zu genießen, gibt es nicht. Aussteigen – Foto machen – und wieder rein in den Bus. Das ist wohl die erste und letzte geführte Tour, die wir machen. Außerdem fahren wir an wunderschönen Postkartenmotiven vorbei, können aber diese Pracht nur durch die Fensterscheibe beäugen. An ein Anhalten ist nicht zu denken, da ja ein Zeitplan eingehalten werden muss. Sehr oft gibt es einen schmerzhaften Stich ins Fotografenherz, und leider können wir euch nur einen kleinen Teil von dem zeigen, was wir heute gesehen haben. Als die ganze Gruppe zum Essen geht, klinken wir uns aus und verschwinden klammheimlich. Jetzt haben wir endlich mal Zeit, um ein Stück zu gehen, die Landschaft zu genießen und ein paar Fotos von den Türmen des blauen Himmels (Torres del Paine) zu machen. Als wir am Abend wieder in Puerto Natales ankommen, schlendern wir noch ein bisschen durch die Stadt, die uns viel besser gefällt, als Punta Arenas, aber die Herzlichkeit der Menschen vermissen wir noch immer. Irgendwie sind die Leute hier nicht interessiert an den Touristen, nur an ihrem Geld und ein großer Teil wirkt arrogant und genervt. Naja, wir werden sehen, wie sich das weiterentwickelt. Auf jeden Fall lohnt es sich alleine wegen der Natur hierher zu kommen, auf einen freundlichen Kontakt zu Einheimischen muss man dann eben verzichten.
Am Abend packen wir schon wieder unsere Sachen denn es geht weiter mit dem Bus nach El Calafate. Hurra, wir fahren wieder nach Argentinien, denn auch hier wird in der Region Patagonien einiges geboten. El Calafate ist eine kleine Stadt in der sich viele Touristen tummeln und wir haben es nicht anders erwartet, in unserer Unterkunft gibt es einen warmherzigen Empfang. Hier beziehen wir ein kleines Hexenhäuschen und fühlen uns gleich wieder so richtig wohl. Am Abend probiert sich Kerstin wieder daran, den Blogbeitrag für die Antarktis zu schreiben. Das ist doch wie verhext, es lassen sich einfach keine passenden Worte finden und schon zum dritten Mal wird der Entwurf gelöscht. Also lassen wir das Thema noch ein wenig ruhen und konzentrieren uns auf Patagonien. Gleich am nächsten Tag gibt es für uns eine riesengroße Freude – wir treffen uns mit Gerhard, den wir auf der Antarktisreise kennengelernt haben. Er schwirrt auch noch in der Gegend rum und es ist so toll, ihn hier noch einmal zu sehen. Bei einem Kaffee gibt es jede Menge zu berichten und eigentlich ist die Zeit viel zu kurz, aber Gerhard muss weiterziehen – sein Flugzeug wartet. Und wir haben auch einen Plan, wir machen uns auf, um uns den Gletscher Perito Moreno anzuschauen. Dieser Gletscher gehört zu den noch wachsenden Landgletschern, von denen es auf der Welt nur noch wenige gibt. Die Gletscherzunge endet im Lago Argentino, dort trennen die Eismassen, je nach Ausdehnung immer wieder den See in zwei Teile. Das sorgt dafür, dass es keinen Abfluss mehr gibt und der Wasserstand bis zu 20 m steigt. Wenn der Druck auf die Gletscherzunge dann zu groß wird, brechen riesige Eiswände ab und stürzen in den See. Dieses seltene Naturschauspiel konnte man zum letzten Mal 2016 beobachten. Aber auch uns wird einiges geboten – da sich der Gletscher ziemlich schnell bewegt, gibt es ein ständiges Donnern und Krachen. Aus dem Inneren des Riesen klingt es wie Kanonenschüsse und die Eisbrocken die immer wieder in den See stürzen verursachen Geräusche wie bei einem schweren Gewitter. Ein Pfad, der auf Stelzen gebaut ist, um dem steigenden Wasser entgegenzuwirken, erlaubt es uns, ziemlich Nahe an den Gletscher heranzukommen. Aber wenn wir wieder einmal in der Gegend sind, nehmen wir uns die Zeit, das Ganze mit dem Boot vom Wasser aus zu betrachten.
Am nächsten Tag klingelt der Wecker ziemlich früh, denn schon um sieben Uhr sitzen wir im Bus Richtung El Chalten. Es ist ein kleiner Ort, der erst 1985 gegründet wurde. Dies geschah nicht zuletzt, um den chilenischen Nachbarn zu zeigen, wem das Gebiet um den berühmten Fitz Roy gehört, da gibt es nämlich immer wieder Grenzstreitigkeiten. Die ca. 1650 Einwohner haben auf einer langen Hauptstraße viele Hotels, Restaurants, Cafés und kleine Geschäfte gebaut, denn 90% aller Einnahmen werden durch den Tourismus erwirtschaftet. Ganz klar, dass die Leute es dort verstehen, ihre Gäste zu verwöhnen. Wir wohnen in einem wirklich sehr gut geführten Hostel – wir würden mal sagen, mit Abstand das beste Hostel bisher. Kerstin hat noch nicht so recht zum Erlebnismodus zurück gefunden, sie braucht Schlaf. Aber Andreas ist voller Tatendrang, will raus an die frische Luft und macht sich auf, um beim Wandern ein paar schöne Blicke auf die umliegende Natur zu erhaschen. Außerdem freuen wir uns auf ein Treffen mit Silke und Dirk, die wir auch auf der Antarktisreise kennengelernt haben. Es fühlt sich ganz fantastisch an, weit weg von zu Hause zu sein und trotzdem Menschen zu treffen, die man schon kennt und die man sehr mag. Wir verbringen einen ganz zauberhaften, kurzweiligen Abend miteinander und es gibt jede Menge guten Gesprächsstoff. Ohne Probleme könnten wir auch mehrere Tage mit den beiden verbringen, aber unsere unterschiedlichen Reisepläne lassen nur diesen einen Abend zu, den wir sehr genießen. Und eines ist jetzt ganz sicher, es wird nicht das letzte Treffen sein.
Am nächsten Morgen ziehen wir unsere Wanderschuhe an, packen unseren Rucksack und machen uns auf. Wir wollen den berühmten Fitz Roy mit eigenen Augen sehen. Auch wenn euch der Name vielleicht nicht gleich etwas sagt, kennt ihr diesen Berg bestimmt trotzdem, denn auf dem weltberühmten Buch „Der kleine Prinz“ ist das Bergmassiv abgebildet. Der Autor Antoine de Saint-Exupéry war in erster Linie Abenteurer und Pilot und er gründete 1929 die erste Fluggesellschaft in Argentinien, die vor allem Post transportierte. Er liebte Argentinien, besonders die Landschaft in Patagonien und die Eindrücke, die er dort gewonnen hatte, ließ er immer wieder in seine Bücher einfließen. „Der kleine Prinz“ gehört zu Kerstins Lieblingsbüchern und ihren Kindern und Nichten hat sie so manchen Abend daraus vorgelesen. Ein Buch für alt und jung, dessen Aussagen nie an Wert verlieren. Kein Wunder, dass gerade diese Wanderung besonders wichtig ist. Und was uns dann am Ziel erwartet ist der absolute Hammer. Am heutigen Tag begegnen uns viele Einheimische auf der Tour, dafür gibt es einen bestimmten Grund, denn der Fitz Roy versteckt sich meist hinter Wolken und zeigt sich nicht gern, auch für die Bewohner ist der freie Blick auf den Berg selten. Angeblich ist er nur an elf Tagen im Jahr zu sehen. Wir sind wirklich Glückskinder, denn heute gibt es kaum eine Wolke am Himmel. Als wir oben ankommen und den Granitberg erblicken, stockt uns der Atem. Majestätisch und wunderschön ragt er in die Höhe. Jetzt passieren viele Dinge gleichzeitig, der Mund bleibt offen stehen, während sich ein breites Lächeln in unser Gesicht schleicht, wir bekommen eine Gänsehaut und schütteln immer wieder mit dem Kopf, weil wir kaum glauben können, dass das wirklich echt ist und dann werden die Augen feucht, sei mal dahingestellt ob von der kräftigen Sonneneinstrahlung oder dem überwältigenden Anblick. Unnahbar erscheint er uns und unnahbar bleibt er auch für die meisten Menschen, denn wegen seiner Form und der unberechenbaren Wetterbedingungen bleiben die Versuche ihn zu besteigen größtenteils erfolglos. Für uns wird der Blick auf dem Fitz Roy auf jeden Fall etwas Besonderes bleiben und er gehört zu den außergewöhnlichsten Aussichten, die wir bisher erleben durften.