Schon in den frühen Morgenstunden stehen wir mit unseren Rucksäcken auf der Straße. La Paz schläft noch und eigentlich trennen wir uns nur ungern, aber auf uns wartet das nächste Land, die nächste Attraktion und viele neue Eindrücke und Erfahrungen. Pünktlich werden wir vom Bus abgeholt und können noch ein paar Stunden vor uns hin dösen und erstmal richtig wach werden. Doch bald sehen wir den riesigen Titicacasee und bei diesem Panorama ist an ein Nickerchen nicht mehr zu denken. Mit 3800 m über dem Meeresspiegel ist der See in den Anden das höchstgelegene schiffbare Gewässer der Welt, liegt genau auf der Grenze zwischen Peru und Bolivien und gilt als Geburtsort der Inkakultur. Hier sind wir genau richtig, denn über die Inka, die vom 13. bis zum 16. Jahrhundert über ein riesiges Reich herrschten, wollen wir die nächsten Tage mehr erfahren. Damit wir nicht um den ganzen See herum fahren müssen, um nach Peru zu gelangen, gibt es eine ganz hervorragende Lösung. Im kleinen Örtchen San Pedro de Tiquina müssen wir alle aus dem Bus aussteigen. Hier werden wir mit einem kleinen Motorboot die Straße von Tiquina überqueren. Das ist eine 800 m bereite Engstelle im Titicacasee, die den nördlichen und südlichen Teil des Sees verbindet. Unser Bus wird auf einem Floß über das Wasser gebracht und es ist schon spannend zu sehen, wie die ganze Konstruktion hin und her schaukelt, an die etwas provisorisch anmutenden Anlegestellen manövriert wird und die Busse wieder festen Boden erreichen. Und schon kann die Fahrt weitergehen, offensichtlich liegen wir gut im Zeitplan, denn der Busfahrer hält sogar einmal an, damit wir einen besonders schönen Blick auf den See genießen können.
In Copacabana machen wir eine lange Pause, wir können die Glieder von uns strecken und die Umgebung auf uns wirken lassen. Es ist ein kleiner, touristischer Ort, aber das Publikum unterscheidet sich wohl etwas vom brasilianischen Copacabana. Hier genießt der verträumte Neo-Hippi sein Leben und Reisende mit schmalen Geldbeutel können eine gute Zeit verbringen. Das dieser kleine Ort und der berühmte Stadtteil der brasilianischen Küstenmetropole Rio de Janeiro den gleichen Namen tragen, ist laut Bolivianer alles andere als ein Zufall. Sie sind davon überzeugt, dass sich hier am Titicacasee das Original befindet und die Brasilianer den Namen geklaut haben. Ob das tatsächlich stimmt, kann uns keiner mit Sicherheit sagen, aber hier in Südamerika brauchen die Menschen für ihre Mythen und Legenden keine Beweise, sie werden erzählt und so lange jemand zuhört, haben sie ihre Berechtigung. Natürlich gibt es auch sagenumwobene Geschichten über die Inka, die vom Sonnengott Inti abstammen. Ganz in der Nähe befindet sich die Sonneninsel, die man von Copacabana aus mit dem Boot besuchen kann. Auf der Isla del Sol soll der erste Inka Manco Capac vom Sonnengott auf die Erde geschickt worden sein, um das Reich der Inka zu gründen – und damit nicht genug, denn der Legende nach, ist die Insel der Geburtsort der Sonne selbst. An solch einem mystischen Ort wundert es uns nicht, dass auch uns etwas merkwürdiges geschieht … denn wir geraten in eine Zeitschleife. Nachdem wir gegessen und uns etwas umgesehen haben, lassen wir uns am Ufer des Sees nieder, natürlich müssen wir die Zeit im Blick behalten, denn um 16:30 Uhr fährt unser Bus weiter. Eine viertel Stunde vor Abfahrt machen wir uns auf den Weg, aber am verabredeten Ort ist kein Mensch zu sehen. Also schauen wir nochmal auf die Uhr und plötzlich ist es nicht mehr 16:15 Uhr sondern 15:15 Uhr. Was ist denn jetzt los – wir wissen gar nicht so richtig, wie das passiert ist. Haltet uns nicht für bescheuert, aber wir haben beide unabhängig voneinander auf unsere Uhren gesehen. Etwas verwirrt traben wir wieder zum Strand, jetzt sind wir schon etwas aufgeregt. Was, wenn wir in einer Stunde am Bus stehen und es ist wieder 15:15 Uhr? Natürlich ist das nicht passiert und Andreas findet auch schnell eine logische Erklärung, denn zwischen Bolivien und Peru gibt es eine Stunde Zeitverschiebung und wir befinden uns sozusagen direkt an der Grenze, da konnten sich die digitalen Uhren eben nicht entscheiden. Na wenn er meint – für Kerstin bleibt es etwas magisches – vielleicht hat uns der Sonnengott höchst persönlich diese Stunde geschenkt.
Nach sechs Stunden in Copacabana geht die Fahrt weiter, an der Grenze müssen wir mit all unserem Gepäck aussteigen und uns den Ausreisestempel holen, dann gibt es einen kurzen Fußmarsch zum peruanischen Grenzgebäude – Einreisestempel rein in den Pass und schon sitzen wir in einem anderen Bus in einem neuen Land. Wir sind in Peru. Am späten Abend hält der Bus an einer Pizzeria und wir können uns nochmal die Bäuche vollschlagen, denn erst um 05:00 Uhr morgens kommen wir in Cusco an. Von einem Taxi, welches das Busunternehmen organisiert hat, werden wir zu unserer Unterkunft gebracht, doch die können wir erst in fünf Stunden beziehen und die ganze Stadt schläft noch. Also setzten wir uns auf den kleinen Marktplatz in unserer neuen Hood und beobachten, wie alles langsam erwacht. Ganz in unserer Nähe baut eine Straßenverkäuferin ihren Stand auf, sie hat alles dabei – Tisch, Stuhl, Sonnenschirm, große Plastikbehälter mit Getränken, Verpackungsmaterial und und und. Sie bereitet belegten Brötchen vor und dann dauert es gar nicht mehr lange, bis die Straße voller Menschen ist. Leute die zur Arbeit gehen, Taxifahrer, Schulkinder und alle bleiben bei unserer Straßenverkäuferin stehen, um zu frühstücken – jetzt haben wir auch Hunger. Aber zuerst müssen wir uns ein paar peruanische Soles besorgen, Andreas macht sich auf, um eine Bank zu suchen, während Kerstin das Gepäck bewacht. Als wir dann endlich nach einer gefühlten Ewigkeit das nötige Geld in der Hand halten, lassen wir uns erstmal aufklären, was die gute Frau denn da verkauft. Lauter Getränke aus Quinoa in verschiedenen Geschmacksrichtungen und kleine Brötchen belegt mit Ei, Käse oder Avocado. Was für die Einheimischen gut ist, kann uns nicht schaden, also schlagen wir zu. Für umgerechnet 1,- € bekommen wir jeder ein Getränk und ein belegtes Brötchen. Es ist so lecker, dass die gute Frau in den nächsten Tagen unsere Casera (Stammverkäuferin) wird. Irgendwann können wir dann auch die Wohnung von Andrew beziehen, der zur Zeit nicht in Cusco ist und uns seine Bleibe überlassen hat. In einer Art Reihenhaussiedlung wohnen wir nun zwischen den Einheimischen und hier ist es wohl wie überall auf der Welt. Von den einen wird man vorsichtig beäugt, anderen grüßen freundlich und wieder andere haben sogar ein paar mehr Worte für uns übrig. Unser erster Weg führt uns zu einem nahegelegenen Markt, auf dem wir uns ein paar Lebensmittel besorgen wollen, aber bevor man da loslegt, muss man sich erstmal einen Überblick verschaffen. Auf großen Tischen bietet jeder seine Ware feil. Fleisch, Käse, Kleider, Obst, Getränke, Taschen, Eier, Schmuck, Brot, Kosmetik alles steht wild durcheinander und soll verkauft werden. Na dann mal los! Als die Taschen voll sind probieren wir auch gleich mal eine traditionelle Köstlichkeit – Lomo Saltado soll es sein und wir können beim zubereiten dem Koch über die Schulter schauen, wie er kleine Rindfleischscheiben, Zwiebeln, Tomaten und Chilli in die Pfanne haut und mit allerlei Gewürzen verfeinert. Hier in Peru gibt es viele traditionelle Gerichte von Ceviche (roher marinierter Fisch) über Anticucho (am Spieß gegrilltes Rinderherz) bis hin zu Carapulcra (Kartoffel- und Fleischeintopf) oder natürlich Guy chactado (gebratenes Meerschweinchen), um nur einige Gerichte zu nennen. Auf Meerschweinchen haben wir nicht so richtig Lust, aber in den nächsten Tagen werden wir noch probieren, wie Alpakafleisch schmeckt. Gar nicht so schlecht, eigentlich sogar ziemlich lecker, aber Andreas sein Favorit bleibt das Lomo Saltado.
Natürlich schauen wir uns auch in Cusco selbst um und überall haben die Inka ihre Spuren hinterlassen. In der Steinmauer des ehemaligen Palastes des Inka-Herrschers Boca kann man die geniale Baukunst der Inka bewundern. Hier fügt sich ein 12eckiger Stein ohne Lücke in die Mauer ein. Als wir durch die großen Parkanlagen und kleinen Gassen schlendern, fällt uns auf, dass die Stadt ziemlich ordentlich und aufgeräumt ist, das sind wir in der Form gar nicht mehr gewohnt. Es kann auch passieren, dass dir plötzlich jemand ein Schäfchen in die Hand drückt und eh du dich versiehst, sitz du zwischen drei Frauen in peruanischer Tracht und wirst fotografiert – natürlich nur gegen Bares, versteht sich. Nachdem wir uns Paläste, Kathedralen und Plätze angeschaut haben, machen wir uns in die Spur, um unsere Fahrt nach Hiedroelectica zu organisieren, von dort aus soll es für uns nämlich zur berühmten Inka-Stadt Machu Picchu gehen.