Viele Wege führen nach … Machu Picchu und wenn man die alte Inkastadt sehen will, muss man sich für einen entscheiden. Der einfachste und wohl auch der teuerste Weg ist die Fahrt mit dem Zug von Cusco nach Aguas Calientes und dann weiter mit dem Bus bis vor die Eingangstore der Attraktion. Doch ganz so faul wollten wir nicht sein und wenigstens ein bisschen ins Schwitzen kommen, um dann mit einem grandiosen Blick belohnt zu werden. Es gibt viele verschiedene Trekking-Touren, um die Stadt in den Wolken zu Fuß zu erreichen, der bekannteste ist der Inkatrail. Doch um diesen gehen zu dürfen, muss man sich Monate im Voraus anmelden, da pro Tag nur eine begrenzte Teilnehmerzahl zugelassen ist. Keine Option für uns, denn vor Monaten wussten wir noch nicht, wann wir in Peru sein werden. Die alternativen Routen, wie z. B. der Salkantay-Trek oder der Lares-Trek, sind mittlerweile auch sehr gut besucht, so dass man kaum noch damit rechnen kann, in einer kleinen Gruppe diese Wanderungen zu erleben. In den letzten Jahren galt die Fahrt mit dem Bus nach Hidroelectrica, um dann zu Fuß bis Aguas Calientes zu laufen, als Geheimtipp – doch dem Internet sei Dank, kann man von einem Geheimtipp jetzt nicht mehr reden. Vor zwei Jahren musste man noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und mehrmaligen Umsteigen die Busfahrt meistern. Heute bietet dir jede auch noch so kleine Tour-Agentur in Cusco an, dich mit dem Bus zum Zielort zu bringen. Ok – dann versuchen wir das doch mal. Die Busfahrt inklusive Eintrittsticket für Machu Picchu waren schnell gebucht und wir sind pünktlich 07:30 Uhr am vereinbarten Treffpunkt. Nur leider ist niemand sonst hier, weder jemand von der Agentur noch andere Reisende. Ziemlich merkwürdig, aber uns bleibt nichts anderes übrig als zu warten. Nach 45 Minuten taucht dann der junge Mann auf, der uns die Karten verkauft hat und ist wohl etwas verwundert, dass wir immer noch hier stehen. Er führt ein paar hektische Telefonate und hat dann einen von den unzähligen Kleinbussen, die nach Hidroelecrica fahren, überzeugt, uns noch abzuholen. Gleich merken wir, dass dies keine entspannte Fahrt wird, denn in den Bus sind so viele Sitze reingequetscht, wie es nur geht. Na ok, wir wollen nicht meckern, wir sind ja schon froh, dass uns jemand mitnimmt. Aufregend ist die Fahrt allemal, wir brausen die Anden hoch und runter und haben den Abgrund manchmal so nahe neben uns, dass einem der Atem stockt. Der Busfahrer hätte doch lieber Rennfahrer werden sollen, denn er brettert die schlechten Straßen in einer Geschwindigkeit entlang, dass wir uns Helme herbeiwünschen, damit wir uns an Dach und Scheibe nicht die Köpfe einschlagen. Das lässt sich aber alles gut aushalten, wenn man mal einen Blick nach draußen wagt – die Landschaft ist faszinierend und eindrucksvoll.

Am Zielort angekommen, können wir es kaum glauben, der ganze Trubel gleicht einem Volksfest. So viele Busse und so viele Menschen – wollen die jetzt etwa alle nach Aguas Calientes laufen? … Ja wollen sie! So wie wir auch, also reihen wir uns in die Menschenkette ein. Der Weg führt direkt an den Bahngleisen entlang und ist sehr gut zu meistern, rechts und links am Wegesrand gibt es überall Verkaufsstände oder kleine Restaurants in den Gärten der Bewohner. Wenn schon täglich so viele Menschen an ihren Grundstücken vorbei laufen, wollen die Anwohner auch etwas davon haben. Wie lange es noch erlaubt sein wird, dass dieser Weg so genutzt werden darf, ist fraglich und wenn es irgendwann verboten wird, ist das nur verständlich. Wenn man sich aber mal die vielen Menschen wegdenkt und sich auf die wunderschöne Natur um einen herum konzentriert, erlebt man doch ein paar schöne Momente. Palmen, riesige Bananenpflanzen, Schmetterlinge, der Flusslauf und der Blick auf den Berg Machu Picchu, das alles ist schon beeindruckend. Als wir in Aguas Calientes ankommen, suchen wir unseren Guide, denn er hat unser Hostel gebucht und die Eintrittskarten für Machu Picchu. Gar nicht so einfach, in dieser ausschließlich vom Tourismus geprägten Stadt. Hier gibt es Hotels, Restaurants und Souvenirläden und alles in Massen. Am Marktplatz sitzen viele Männer und brüllen irgendwelche Namen durch die Gegend, denn alle, die mit uns den Weg gelaufen sind, suchen ihren Kontaktmann. Wir spitzen also unsere Ohren, werden bald fündig und bekommen das Hostel zugewiesen und die Tickets in die Hand. Am Abend gehen wir noch gemeinsam mit vier Deutschen essen und da stellt sich heraus, dass der ein oder andere doch in Cusco vom Bus vergessen wurde und die halbe Fahrt dann mit dem Taxi zurücklegen musste. Na da hatten wir ja nochmal richtig Glück. Nach dem Abendessen heißt es dann schnell schlafen, denn diese Nacht wird sehr kurz.

Schon um drei Uhr klingelt unser Wecker und ca. eine Stunde später stehen wir vor den unteren Eingangstoren und gehören zu den ersten 20 Leuten, die den Weg nach oben zu Fuß erklimmen werden. Doch es heißt warten, denn erst um fünf Uhr öffnen sich die Pforten. Bis es soweit ist, stellen sich so viele Menschen an, dass man das Ende der Menge nicht mehr ausmachen kann. Und dann geht’s los … Zeit zum warm laufen hat man nicht, sofort beginnt der steile Aufstieg und er kostet uns für die nächsten eineinhalb Stunden so manchen Schweißtropfen. Es ist noch stockdunkel und anhalten geht nur, wenn entlang der steilen Treppe mal eine Ausbuchtung ist, denn wir sind ein Teil einer langen Schlange, die sich langsam den Berg hinauf schiebt. Immer wieder kreuzen wir die Straße und sehen die Busse, die im fünf Minuten Takt nach oben fahren. Als wir am Ziel ankommen, stehen wir in einer riesigen Menschentraube vor dem Eingang, müssen noch ein paar Minuten warten und die Busse rollen weiter ohne Unterlass hoch und runter und bringen Nachschub an Touristen. Eigentlich gibt es seit März 2017 eine neue Regelung. Es wurde ein Schichtsystem eingeführt, also muss man sich schon im Vorfeld entscheiden, ob man die heiligen Stätten früh am Morgen oder am Nachmittag besuchen will. Angeblich soll das die Besuchermengen regulieren, aber wir haben eher den Eindruck, dass man nun doppelt so viele Karten verkaufen kann. Außerdem muss man sich einem Guide anschließen, was aber in der Praxis nur schlecht gelingt. Der Guide selber hat kaum einen Überblick, welche von den unzähligen Menschen jetzt eigentlich zu ihm gehören. Wir versuchen auch gar nicht lange, an unserem Guide dran zu bleiben, denn dass Tempo ist uns zu schnell und von seinen Erklärungen bekommen wir nur wenig mit, denn die Gruppen stehen so dicht gedrängt, dass wir mehrere Vorträge in mehreren Sprachen gleichzeitig hören. Nicht ganz unser Geschmack. Erstmal wollen wir gleich vom Wächterhaus aus, das berühmte Machu Picchu Foto machen. Dies nimmt ziemlich viel Zeit in Anspruch, denn um die eine Sekunde abzupassen, wo mal kein Fremder auf deinem Foto ist, dafür braucht man viel Geduld. Zum Glück ist Andreas ein sehr geduldiger Mensch und wartet auf seine Gelegenheit. Kerstin ist nach 10 Minuten schon so genervt, dass sie am liebsten kehrt machen würde. Sie hat sich so auf diesen Besuch gefreut, alle Tipps gelesen, um vielleicht dem Massentourismus etwas zu entkommen und einen kurzen entspannten Blick auf dieses grandiose Bauwerk richten zu können. Aber was sich hier abspielt ist kaum zu beschreiben, es hat nichts damit zu tun, dass an tollen Sehenswürdigkeiten immer viele Leute zu finden sind. Gegen diese Besucherzahl, die sich hier schon in den frühen Morgenstunden durch die Tore quetscht, ist das Kap der Guten Hoffnung oder vielleicht sogar das Schloss Neuschwanstein ein Geheimtipp. Dennoch finden wir einen Platz etwas abseits der Massen, von wo aus man einen Blick auf die alte Stadt hinunter werfen kann. Hier läßt sich Kerstin nieder und fragt sich, was sich die peruanische Regierung dabei denkt, so mit ihrem kulturellen Erbe umzugehen. Schon seit 2004 diskutiert die Unesco darüber, ob diese Inkastätte zum gefährdeten Weltkulturerbe zählen soll und heute 14 Jahre später ist offensichtlich alles noch schlimmer. Da hat man wohl das Wort Ruine mit ruinieren verwechselt und noch heiliger als die alte Kultur ist diesem Land wohl der schnöde Mammon. Wir sind entsetzt und fragen uns, wie lange dies noch in der Art und Weise zugelassen wird. Vielleicht haben wir einen schlechten Tag erwischt und übermorgen hätten wir weniger Besucher angetroffen, aber das dies überhaupt in dieser Form möglich ist, ist eine Schande. Andreas lässt die wütende Kerstin erstmal zur Beruhigung allein und mischt sich unter die Menge. Leider gibt es große Schwierigkeiten, als er zurück will, denn Machu Picchu ist eine Einbahnstraße, wenn man einen Punkt erstmal passiert hat, gibt es kein zurück mehr. Ja klar, klingt ja auch irgendwie logisch, wenn sich die Masse in alle Richtungen bewegen könnte, würde es womöglich Unfälle geben. Aber Andreas ist clever genug, um sich unsichtbar zu machen und schafft es, an den Aufpassern vorbei zu huschen. Und dann sitzen wir für eine lange Zeit da oben, betrachten diese außerordentliche und achtenswerte Stätte, die eingebettet liegt in einer wunderschönen, erstaunlichen und einzigartigen Landschaft und sind beeindruckt, wie man es angesichts dieser Schönheit nur sein kann.

Nach drei Stunden verlassen wir das Gelände, nehmen den kürzesten Weg zum Ausgang und machen uns auf den Rückweg nach Hidroelectrica. Hinunter ins Tal haben wir die Stufen diesmal fast für uns allein, das genießen wir sehr, machen hier und da ein Päuschen und begeistern uns für die schöne Landschaft um uns herum. Auf dem Weg entlang der Bahngleise kommen uns wieder viele Leute entgegen, sie werden morgen Machu Picchu besuchen und hoffentlich einen etwas entspannteren Aufenthalt haben.

Wir müssen uns jetzt um ein ganz anderes Problem kümmern. Unser Bus ist nicht am verabredeten Ort und von den vielen Busfahrern kann oder will uns keiner helfen. Die Zeit drängt, denn in fünf Minuten ist Abfahrt und wir sind uns ziemlich sicher, dass nicht auf uns gewartet wird. Wir laufen nochmal ein Stück zurück und halten alle Busse an, die uns entgegen kommen, aber der Richtige ist nicht dabei. Irgendwann glaubt Andreas in der Ferne unseren Busfahrer von gestern zu erkennen und siehe da, er hat Augen wie ein Adler. Wir springen in den Bus und schon geht die Fahrt los. Doch mit unserem Gefährt scheint etwas nicht zu stimmen, denn der Fahrer steigt alle 5 Minuten aus und wirft einen Blick unter die Motorhaube. Irgendwann erfahren wir dann, dass die Lenkung nicht richtig funktioniert. Das sind keine guten Nachrichten, angesichts der Abgründe in die wir gestern geblickt haben. Wir brauchen Hilfe und finden sie in einem nahegelegenen Dorf, dort wird eine zweistündige Zwangspause eingelegt und drei Männer legen sich immer abwechseln unter das Auto. Na hoffentlich wissen die, was sie tun. Als wir dann endlich weiter fahren, müssen wir erkennen, das der Fahrstil auf der Hinfahrt richtig temperamentlos war, gegen das, was uns jetzt geboten wird. Es geht offensichtlich immer noch ein bisschen schlimmer. Als es längst dunkel ist, kommen wir im Cusco an. Ziemlich frech finden wir die Tatsache, dass unser Busfahrer an allen Hostels vorbei fährt und die Leute nicht aussteigen lässt. Da hilft den Passagieren auch kein Rufen und kein Flehen, alle müssen bis in die Innenstadt und dann sehen, wie sie zurück kommen. Vielleicht hat ja der Busfahrer einen Deal mit dem Taxiunternehmen, auf jeden Fall ist uns so etwas bei all den vielen Busfahrten, die wir bisher gemacht haben, noch in keinem einzigen Land passiert. Wir haben wieder mal Glück, denn wir wohnen nur unweit vom Ankunftsort und können nach Hause laufen. Jetzt brauchen wir nur noch Schlaf, denn in den letzten zwei Tagen sind wir 14 Sunden Bus gefahren, 10 Stunden gewandert und haben 5 Stunden geschlafen.

Unser letzter Tag in Cusco verläuft ziemlich ruhig, wir schlendern noch ein bisschen durch die Stadt und beobachten das Gewusel. Allgegenwärtig sind hier hupende Autos, es ist ein lautes und nicht enden wollendes Hupkonzert. Für die Peruaner ist dies das wichtigste Mittel der Kommunikation, denn es bedeutet nur in den seltensten Fällen, dass irgendwas nicht stimmt. Meistens heißt es: „Hallo her Nachbar“, „Mein Taxi ist frei, wer will?“, „Wollen wir mal wieder was zusammen trinken gehen?“, „Achtung ich komme jetzt die Straße entlang gefahren“ … usw., überwiegend begleitet durch Blicke oder Handzeichen. Hoch interessant für uns, dies zu beobachten, wo doch das betätigen der Hupe in Deutschland fast ausschließlich dafür genutzt wird, um seinen Unmut auszudrücken. Auch die Methoden der Straßenverkäufer sind hier einmalig. Als wir an einem Brunnenrand sitzen, um uns etwas auszuruhen, knüpft nicht weit entfernt von uns eine ältere Frau Armbänder. Kurzerhand schnappt sie alle ihre Sachen, setzt sich direkt vor unsere Füße, arbeitet weiter und redet die ganze Zeit auf uns ein. Unsere rudimentären Spanischkenntnisse erlauben es leider nicht, dass wir alles verstehen. Klar ist, Andreas soll doch seiner Freundin ein Armband kaufen, dann würde er gleich zwei Frauen glücklich machen. Na gut, wann hat man schon mal die Chance zwei Frauen auf einen Streich glücklich zu machen, also wird ein Bändchen gekauft. Und siehe da, nach erfolgreichem Geschäftsabschluss, packt das Mütterchen ihre Sachen und zieht weiter. Souvenierverkäufer begegnen uns in den letzten fünf Monaten fast täglich, manche sind aufdringlich und lassen dich nicht in Ruhe, andere sind höflich und halten den nötigen Abstand, aber hier gibt es eine Mischung aus höflicher Aufdringlichkeit gepaart mit der nötigen Distanz. Eine Komposition, die offensichtlich zum Erfolg führt.

Am nächsten Tag beenden wir unseren Aufenthalt in Cusco, vor uns liegen drei Flüge mit einem Zwischenstopp in Lima und einem in San Salvador. Also verbringen wir in den nächsten Stunden wieder viel Zeit an Flughäfen. Mittlerweile haben wir für diese Aufenthalte einen neuen Sport entwickelt. Wir stehen zu gerne in der Ankunfsthalle und beobachten die Leute, die auf ihre Lieben warten. Hier gibt es immer viele Umarmungen, Tränen und Küsse zu sehen und unser kleines Spielchen besteht darin, im Vorfeld zu erraten, wer da jetzt erwartet wird und wie die Begrüßung ausfällt. Wir sind schon richtig gut darin und liegen ziemlich oft richtig mit unseren Vermutungen, aber manchmal sind wir auch enttäuscht, wenn der Empfang dann nicht temperamentvoll genug ist. Oft versuchen wir uns auch vorzustellen, wie es wohl sein wird, wenn wir nach Hause kommen. Wünschen wir uns auch ein stürmisches Willkommen oder werden wir klammheimlich in Deutschland ankommen und niemanden verraten, wann das ist. Da sind wir uns noch nicht ganz einig, aber es ist ja noch genug Zeit bis dahin.

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