Als die Sonne zum zweiten Mal aufgeht, haben wir es geschafft und unser Zug fährt in den Bahnhof von Seattle ein. Heute fühlen wir uns fit und ausgeruht und starten sofort mit der Stadtbahn zu unserem Autovermieter. Unsere erste Fahrt führt hinüber auf die Insel Vashon, die nur mit der Fähre erreichbar ist. Hier werden wir einige Tage bei Jana verbringen und es wird eine ganz besondere Zeit für uns. Auf der Insel ist es wunderschön ruhig und das Haus von Jana liegt direkt am Strand in einem Naturparadies. Aber mindestens genauso wundervoll ist die Begegnung mit unserer Gastgeberin. Kennt ihr das? Wenn man gerade jemanden kennenlernt und trotzdem das Gefühl hat, man hätte schon sehr viel Zeit miteinander verbracht. So geht es uns mit Jana, sie ist vom ersten Moment an eine Freundin und wir genießen jede Minute, die wir mit ihr verbringen. Grund genug, um die Erkundung der Gegend erstmal ruhig anzugehen. Wir schlendern am Strand entlang, beobachten die Rehe, die uns im Vorgarten besuchen kommen, kochen und essen zusammen, plaudern und lachen viel. Janas Mutter ist in Deutschland geboren, ihre jüdische Familie musste Anfang der 30iger Jahre vor den Nazis flüchten und sie sind dann im Nordwesten der USA seßhaft geworden. Heute öffnet uns genau diese Familie ganz großzügig ihr Haus und nimmt uns liebevoll auf. Da lohnt es für den ein oder anderen vielleicht schon mal darüber nachzudenken, woher der Hass auf Menschen aus verschiedenen Religionen, mit verschiedenen Hautfarben oder verschiedenen Kulturen kommt und ob er die Menschheit weiter bringt oder uns eher daran hindert, ganz fantastische Dinge zusammen zu erleben.
Nachdem wir die schönsten Plätze der Insel erkundet haben, gibt es den ersten Ausflug nach Seattle. Ideenreichtum, Innovationsfreude, Kreativität, Risikobereitschaft und beherzter Individualismus haben diese Stadt wohl zu dem gemacht, was sie heute ist. Viele Unternehmen, die im dotcom-Zeitalter zur Selbstverständlichkeit geworden sind, haben hier ihren Ursprung. Aber auch Musikliebhaber verspüren immer eine Verbindung zur größten Stadt im Nordwesten. Legenden wie Jimmy Hendrix und Kurt Cobain waren hier zuhause oder weltbekannte Bands wie Nirvana, Perl Jam oder Soundgarden starteten hier ihre Karrieren. Keine Frage, dass auch unser erster Weg zu einem Geburtsort führt – die größte Plattform für Geocaching hat ihren Anfang ebenso in Seattle gefunden, ganz klar, dass Andreas als begeisterter GPS-Schatzsucher das Hauptquartier besuchen muss. Selbstverständlich gibt es im Anschluss auch eine Schatzsuche in der Stadt selbst und diese führt uns an ganz wunderbare Orte. Vorbei an riesigen Trollen, Weltraumraketen, einer übergroßen Statue von Lenin – ähhh ? Was macht die denn hier? – kleinen Häfen, unzähligen coolen Kneipen, Cafés und gemütlichen Parks. Die Stadt ist jung, lebendig und steckt voller kleiner Geheimnisse.
Doch vor den Toren der Stadt schlummern auch Gefahren, Mount Rainier, ein 4392 m hohes Massiv aus Fels und Eis ist ein ruhender Vulkan, bei dem die Wissenschaft davon ausgeht, dass er eines Tages wieder ausbrechen wird. Möge er noch lange schlafen. Wir wagen uns heute in die Wildnis und machen eine Tageswanderung im umliegenden Gebirge. Nicht ganz ohne Ziel, denn es gilt, einen ganz besonderen Schatz zu finden. 2001 wurden in Zusammenarbeit mit der Filmgesellschaft „20th Century Fox“ weltweit 14 Geocaches zum Start des Kinofilms „Planet der Affen“ versteckt. Jeder dieser Caches repräsentierte eine fiktive Geschichte, in der Wissenschaftler eine alternative Primaten-Evolution entdeckten und jede dieser 14 Schatzkisten enthielt eine Originalrequisite aus dem Film. Bis vor Kurzem existierte nur noch eine dieser Raritäten, die im brasilianischen Regenwald versteckt liegt. Doch wir haben Glück, denn Mission Nr. 9 wurde geborgen und im letzten Jahr wieder an Ort und Stelle im Nordwesten der USA versteckt. Also wandern wir los, vorbei an kleinen Wasserfällen, über Berg und Tal, durch dunkle Wälder und über grüne Wiesen, bis Andreas irgendwann ganz stolz das Fundstück in Form einer Munitionskiste in der Hand hält. Den Rückweg meistern wir mit flinken Füßen und sind noch ausgeruht genug um den Snoqualmie Falls einen Besuch abzustatten. Der 82 m hohe und 30 m breite Wasserfall wurde nach den Snoqualmie Indianern benannt. Sie glauben, dass dies der Ort ist, an dem der Mensch durch den Mond erschaffen wurde und an dem ihre Gebete durch die Gischt des Wassers emporgetragen werden. Heute dient er als Wasserkraftwerk, Ausflugsziel oder Filmkulisse.
Doch auch hier ist der Tag noch nicht vorbei, denn Janas Eltern haben uns in ihr Haus eingeladen. Dort werden wir so herzlich empfangen, lecker bekocht und hervorragend unterhalten, dass uns wieder einmal ganz warm ums Herz wird. Mickie und Morry sind seit 67 Jahren verheiratet und offensichtlich zusammen in den Jungbrunnen gefallen. Denn dass sie rund 90 Jahre alt sind, ist keinem von beiden anzumerken. Fit, rüstig, mit voller Lust am Leben und guter Laune würden sie so manchem 60 jährigen Jungspund davonlaufen. Wir sind begeistert, beeindruckt und hoffen inständig, in etwas mehr als 40 Jahren ein bisschen so zu sein wie sie.
Nun bleibt uns nicht mehr viel Zeit auf der Insel und wir müssen weiterziehen. Das gefällt uns gar nicht und wir denken das erste Mal ernsthaft darüber nach, das Reisen für eine Weile ruhen zu lassen und einfach bei Jana zu bleiben. Bei all den wunderschönen Orten, die wir schon gesehen haben, ist dies der Platz, an dem wir uns vorstellen können zu leben. Dass uns das gerade in den USA passiert, hätten wir auf keinen Fall vermutet, aber man wird auf so einer Reise immer wieder von sich selbst überrascht. Aber wir packen dann doch unsere Rucksäcke und entscheiden uns weiterzuziehen. Der Abschied ist schrecklich, die dicken Krokodilstränen lassen sich nicht aufhalten und versiegen erst nach langer Zeit. Beim letzten Blick von der Fähre zurück auf die Insel haben wir das Gefühl, wieder umkehren zu müssen, aber wir setzen tapfer einen Schritt vor den anderen, bis wir wieder am Bahnhof sind und im Zug sitzen, der uns zu unserem nächsten Abenteuer bringt.
Dear Jana, thank you for the wonderful days with you on the island. Thank you for your home was our home, for the good conversation, the laughter, the many comfortable chairs and umbrellas. We will remember Hobie and Flyer. Please give best regards to your parents and we wish them the best. We send you a big hug and we know we’ll meet again.