Von Seattle aus fahren wir mit dem Zug nach Portland, von dort aus wollen wir unseren Roadtrip durch Oregon starten, aber bis es los geht, gibt es noch einiges zu organisieren. Im Vorfeld haben wir eine Unterkunft etwas außerhalb der Innenstadt gebucht, also suchen wir uns jetzt die einfachste Verbindung mit den Öffentlichen heraus und ab geht es mit dem Bus in die Vorstadt. Die Menschen sind sehr aufgeschlossen, zugänglich und offensichtlich neugierig auf uns. „Wo kommt ihr her?“ „Wo wollt ihr hin?“ „Wie gefällt es euch in den Staaten?“ „Was haltet ihr von unserem Präsidenten?“  – ungefähr in dieser Reihenfolge werden wir mehrmals Rede und Antwort stehen. Eine volle Stunde fahren wir einmal quer durch Portland und können die Stadt schon einmal durch die Fensterscheibe unter die Lupe nehmen. Was wir zu sehen bekommen, gefällt uns nicht wirklich und macht auch nicht Lust auf mehr. Prägend für das Stadtbild sind jede Menge Obdachlose, die überall die Straßen bevölkern – offensichtlich eine Stadt, in der es den meisten Menschen nicht so gut geht. Als wir dann nach Busfahrt und einem ausgiebigen Fußmarsch in unserer Unterkunft ankommen, werden unsere Hoffnungen auf eine gemütliche Bleibe und etwas Entspannung enttäuscht. Wir haben auf ein Zimmer gehofft, wenigstens auf ein Bett – aber weit gefehlt, für uns steht ein kleines Zelt im Garten bereit. Upps – wie kam es denn zu diesem Missverständnis? Stuart lebt alleine in diesem Haus und bis auf ein eigenes Zimmer werden alle anderen Räume vermietet, in der angrenzenden Garage stehen Doppelstockbetten und der kleine Garten bietet Platz für ein paar Zelte. Schnell merken wir, das ist ein Ort für Gestrandete aller Couleur und unser Gastgeber verdient mit der Vermietung seinen Lebensunterhalt. Das Umfeld ist etwas gewöhnungsbedürftig, überall liegen bekiffte Leute in der Gegend herum, die Küche wird zwar genutzt aber nicht geputzt und ca. 12 Bewohner teilen sich ein Badezimmer. Na hurra, das ist mal das ganze Gegenteil von unserer letzten Unterkunft und soll wohl für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen. Jetzt vermissen wir Jana, ihr Haus und Seattle noch mehr als zuvor, aber wir sind tapfer, quatschen Stuart wenigstens noch eine Matratze ab und richten uns im Zelt und auf der kleinen Terrasse häuslich ein. Am nächsten Tag müssen wir uns erstmal etwas Verpflegung besorgen, was einem mittelgroßen Projekt ähnelt, denn der nächste Shop, in dem es außer Bier, Zigaretten und Waffen auch noch etwas anderes zu kaufen gibt, liegt einige Kilometer entfernt. Aber wie immer hilft kein Klagen – wer etwas essen will muss laufen. Den Rest des Tages machen wir es wie alle anderen im Host – wir hängen rum und nachdem wir uns ein bisschen auf unsere Mitbewohner einlassen, stellt sich heraus, da sind ein paar sehr nette, kreative und intelligente Menschen dabei. Also wird zusammen ein bisschen Musik gemacht, es gibt außerordentlich interessante Gespräche und der Tag vergeht dann doch schneller als erwartet. Die Küche ist zwar immer noch dreckig und unser Zelt noch genauso klein wie gestern, aber wir fühlen uns nun schon etwas wohler und haben heute wieder einiges dazugelernt.

„Betrachte nicht den Krug, sondern dessen Inhalt.“

Am letzten Tag klemmt sich Kerstin mal wieder hinter den Rechner und schreibt fleißig Beiträge für den Blog und Andreas macht sich auf, um die Gegend zu erkunden, geht wandern und sammelt unterwegs ein paar Geocaches. Dann ist die Zeit in der wilden Wohngemeinschaft zum Glück vorbei, wir besorgen uns ein Auto und kehren Portland den Rücken – auf uns warten die Straßen Oregons.

Wir starten den Trip auf dem Historic Hwy 30, diese Straße führt uns entlang des Columbia River, bietet überragende Aussichten auf das Umland und so manche Sehenswürdigkeit. Die Fahrt ist grandios, an vielen Scenic Viewpoints lohnt es sich zu stoppen, das Vista House, ein historisches Rasthaus, dient heute als kleines Museum und auch kleine Wanderungen zu den Wasserfällen in der Gegend, machen den Tag unvergesslich. Leider ist es uns nicht möglich, den gesamten Highway zu befahren, denn in der letzten Woche gab es einen Waldbrand und ein Teil der Straße ist immer noch gesperrt. Die so gewonnene Zeit nutzen wir für einen Spaziergang durch North Bonneville, das ist die Stadt der Bigfoots. Hier begegnen uns überall diese geheimnisvollen, behaarten Wesen mit den riesigen Füßen. Sie sehen wirklich süß aus und so in Holz geschnitzt, sind sie auch kein bisschen gefährlich.

Da der Columbia River die Staaten Washington und Oregon als natürliche Grenze trennt, haben wir heute die Wahl, wo wir übernachten. Da unsere Erfahrungen in Washington wesentlich besser waren, überqueren wir den Fluß und werden auch diesmal nicht enttäuscht. In Stevenson empfängt uns Jon in seinem Haus und hat ein kleines Zimmer für uns, mit dem wir zufrieden sein können. Den Abend verbringen wir gemeinsam, unser Gastgeber kocht für uns, wir essen zusammen und bei Bier und Wein werden Familiengeschichten ausgetauscht, Reiseerlebnisse zum besten gegeben und die Weltpolitik unter die Lupe genommen. Leider können wir Jons Gesellschaft nur einen Abend genießen, denn er wird die nächsten Tage beruflich unterwegs sein. Doch wir werden uns nicht beschweren, denn nun haben wir das große Haus für uns allein. Wir lieben es, vor dem Haus zu sitzen, denn der Blick auf das nahegelegene Gebirge, hinter dem am Abend die Sonne langsam verschwindet ist unbezahlbar. Direkt vor der Haustür erhebt sich der Windberg, ganz klar, dass wir diesen gleich am nächsten Tag besteigen. Mit einem Picknick im Gepäck starten wir sehr früh am Morgen und der Aufstieg verlangt uns einiges ab. Der Weg ist steil und der Abgrund nahe, Kerstin hat mit beiden zu kämpfen, aber am Gipfel angekommen, lässt uns der Blick auf den schneebedeckten Mount Adams, den Columbia River und Stevenson sofort alle Strapazen vergessen. Wieder am Fuße des Berges angekommen, machen wir uns noch auf, um den Panthers Creek Wasserfall zu bewundern und abschließend genießen wir den Blick auf den schönen Columbia River. Die Sonne scheint, die Natur ist atemberaubend und wir beobachten begeistert das Treiben der Wassersportler auf dem Fluss – wir sind glücklich.

Auch der nächste Tag zeigt sich imposant, denn wir sind am Mount Hood. Mit seinen 3425 m ist er der höchste Berg Oregons und wenn er sich im davor gelegenen Lost Lake spiegelt, ist das unbeschreiblich schön. Wir umrunden den ganzen See zu Fuß, um den Blick von allen Seiten zu genießen. Kerstin ist heute besonders happy, denn es gibt auf dieser Wanderung keine Höhenmeter zu überwinden.

Zurück in der Unterkunft wird Wäsche gewaschen und alles zusammen gepackt. Heute gibt es für lange Zeit die letzte Nacht in einem Bett, denn ab morgen werden wir in unserem Auto schlafen,  mitten in der Natur und weit weg vom Trubel der Menschen. Wir sind gespannt und auch ein bisschen aufgeregt, was uns auf der Straße so erwartet.

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