Nach dem wir uns in Redding mit neuen Lebensmitteln eingedeckt haben, heißt es Strecke machen, schließlich liegen ca. 500 km zwischen uns und unserem nächsten Ziel. In der Sierra Nevada liegt ein großer Süßwassersee namens Lake Tahoe. Hier war die Familie Cartwright zuhause, die man aus der alten Westernserie „Bonanza“ kennt, hier stand die Villa der Corleones aus dem Zweiteiler „Der Pate“, eine Episode aus der Fernsehserie „Ein Cold für alle Fälle“ wurde hier gedreht und alle Fans der Hörspielserie „Die drei Fragezeichen“ kenne den See aus der 14. Folge „Das Bergmonster“. Na das klingt doch vielversprechend, das lassen wir uns auf keinen Fall entgehen. Unterwegs kommen wir an mehreren alten Goldgräberstädtchen vorbei, einige davon sind verlassen und wenn man dann mit seinem Fotoapparat so zwischen den Häusern umher streift, die von der Natur längst zurückerobert sind, dann kann einem schon mal mulmig werden. Trotzdem ist es so spannend, das jeder von uns seinen eigenen Weg einschlägt und wir uns aus den Augen verlieren. Neugierig blickt man mal in dies und mal in das alte zerfallene Holzhaus. Das geht so lange gut, bis Kerstin ein paar Schritte weiter plötzlich ein Rascheln und dann ein langanhaltendes Knurren hört. Da rutscht einem das Herz direkt in die Hose, man erstarrt zur Salzsäule und geht blitzschnell im Kopf seine Optionen durch.
„Soll ich laut nach Andreas rufen?“ … Nein, keine gute Idee!
„Wegrennen?“ … Nein, ganz sicher keine gute Idee!
Also tritt Kerstin gaaanz langsam auf leisen Sohlen den Rückzug an, immer ein Schritt nach dem anderen und die Gefahrenzone möglichst nicht aus den Augen lassen. Als der Abstand groß genug ist und das Auto wieder in Sichtweite, fängt man dann automatisch an zu joggen. Puh, wir lieben es in der Natur zu sein, aber gerade kam sich Kerstin eher wie ein hilfloser Großstädter vor. Bloß schnell ins Auto und weg hier, wir haben genug gesehen.
In anderen Städten, die während des großen Goldrausches im 19 Jh. entstanden sind, leben die Leute wie in einem alten Museum und als Reisender kann man einiges über die Zeiten erfahren, in denen die Menschen am Goldfieber litten.
Um die Mittagszeit kommen wir dann ganz schön ins Schwitzen, das Thermometer zeigt 40 Grad, doch als wir durch den Lassen Volcanic Nationalpark kommen, sinken die Temperaturen wieder, denn wir sind auf über 3000 m Höhe. Die Gegend hier ist unwirklich und faszinierend gleichermaßen, denn der Vulkan Lassen Peak ist Teil des Parzifischen Feuerrings und war zwischen 1914 und 1917 das letzte Mal aktiv. Seither ist die Gegend Naturschutzgebiet und man bekommt auf ca. 500 qkm einen Eindruck davon, was es für Mensch und Tier bedeutet, wenn ein Vulkan ausbricht und wie es aussieht, wenn die Natur nach und nach wieder zu neuem Leben erwacht. Eigentlich war der kurze Besuch im Lassen Volcanic NP eher ein Zufall und später werden wir uns fragen, warum wir nicht länger geblieben sind und die vielen Wanderwege genutzt und die Seen mit dem Boot erkundet haben, aber wir sind ja noch fest davon überzeugt, dass am Lake Tahoe die größere Attraktion auf uns wartet. Als wir nach einem Picknick den Park verlassen, sehen wir riesige Rauchschwaden und erleben, wie Feuerwehr und Ranger versuchen die Feuersbrunst vom Land und aus der Luft zu bekämpfen. Wochen später wütet so ein großes Feuer in Kalifornien, dass uns einige Menschen aus dem Norden der USA, die wir in den letzten Wochen kennengelernt haben, kontaktieren, um zu erfahren, ob wir in Sicherheit sind. Monate später, als wir die USA schon längst verlassen haben, rast das Feuer immer noch über den Südwesten der USA hinweg und vieles von dem, was wir noch bewundert und fotografiert haben ist nicht mehr da, … Orte an denen wir unser Nachlager gefunden und uns mit Lebensmittel eingedeckt haben, sind nur noch Asche und die Menschen, die wir dort getroffen haben, verloren ihr zu Hause. Für uns ist das schwer zu ertragen und wir haben immer einen dicken Kloß im Hals, wenn wir etwas darüber lesen, im Fernsehen darüber berichtet wird oder wir wie heute darüber schreiben. Auf unserer Reise ist es schon das zweite Mal, dass wir uns in einem Gebiet bewegen, das kurze Zeit später gesperrt und dann vom Feuer zerstört wird. Traurigerweise wird es hier in Kalifornien nicht das letzte Mal sein, dass wir etwas bestaunen können, was es einige Zeit später nicht mehr gibt.
Weit genug vom Feuer entfernt, doch noch nicht ganz am Ziel, finden wir in Plumas einen hübschen Campingplatz im Grünen. Am Abend bekommen wir ganz umsonst Livemusik geboten, denn ganz in unserer Nähe haben sich die Pfadfinder niedergelassen und die sitzen mit Gitarre am Lagerfeuer und singen Loblieder auf ihr Land. Wir können uns ein Lächeln nicht verkneifen und erinnern uns an unsere Kindheit, wo wir gleichgeschaltet in Kindergarten und Schule Loblieder auf unseren Staat gesungen haben, den es ja bekanntlich heute gar nicht mehrt gibt. Und bei den patriotischen Klängen im Hintergrund ist man sich gar nicht sicher, ob man es beruhigend oder beängstigend finden soll, dass sich an diesen Mechanismen nichts ändert. Kinderkopf auf … Ideologie rein … so bleibt die Gefahr gering, dass es zu einem Übergewicht an selbständig denkenden Menschen auf dieser Welt kommt. Naja, lassen wir das … wir haben im Moment ganz praktische Probleme, denn am Lake Tahoe angekommen sind wir auf der Suche nach einem Campingplatz mit Dusche und Wäscherei, für beides wird es aller höchste Zeit. Schnell müssen wir feststellen, dass das heute nicht so läuft, wie geplant. Überall Menschenmassen, die Campingplätze sind hoffnungslos überfüllt, obwohl man für wenig Komfort viel Geld bezahlt, gibt es rings um den See kein Plätzchen für uns. Ok, dann schlafen wir eben außerhalb und schauen uns nur die Gegend an, aber auch das ist leichter gesagt als getan. Die Straße um den See ist teilweise vierspurig und es gibt kaum Gelegenheiten einmal anzuhalten, um ein Foto zu schießen. An den wenigen Aussichtspunkten ist die Straße in beide Richtungen mindestens zwei Kilometer zugeparkt. Die Cartwrights und die Corleones wären erschüttert über diese Zustände. Und wir? Wir sind total bedient und beschließen, so schnell wie möglich zu verduften. Eigentlich wollten wir zwei Tage hier bleiben, nun waren es nicht mal zwei Stunden. Nicht ein einziges Foto haben wir vom See gemacht, bevor wir die Grenze zu Nevada überqueren und durch ein endloses Wüstengebiet fahren. Hier findet unser Puls wieder seinen normalen Rhythmus und da der Tag eh versaut ist, fahren wir so weit wir können Richtung Osten, denn dort wartet im Bundesstaat Utah die Salzwüste auf uns. Bis Winnemucca schaffen wir es und dort finden wir einen Campingplatz auf dem wir unsere Wäsche waschen und eine erfrischende Dusche genießen können, ein Traum bei Tagestemperaturen von 41 Grad Celsius. Ein bisschen anstrengend sind die kleinen gelben Insekten, die hier zu tausenden herumfliegen, sie sind einfach überall und wir werden sie noch Tage später im Auto finden.
Nach ca. 400 weiteren Kilometern auf der Straße erreichen wir die Stadt Wendover, von hier aus ist es bis zur Salzwüste nur noch ein Katzensprung, also werfen wir unseren Anker und starten direkt damit, die Gegend zu erkunden. Die eine Hälfte der Stadt liegt in Nevada, die andere in Utah und zu allem Überfluss gehören die beiden Bundesstaaten zu zwei verschiedenen Zeitzonen. Während in Utah die Mountain Time befolgt wird, drehen sich die Zeiger in Nevada nach Parcific Time. Verrückt! In der einen Stadthälfte ist es rein theoretisch immer eine Stunde später als in der anderen, aber die Bewohner der Stadt haben sich auf eine gemeinsame Uhrzeit geeinigt. Unsere digitalen Uhren spielen trotzdem verrückt und nach kurzer Zeit richten wir uns nach dem Stand der Sonne und hören auf uns zu fragen, wie spät es ist.
Die Stadt ist viel kleiner als Las Vegas, aber auch hier gibt es viele große Casinos und auffallend viele Tankstellen. Die werden hier auch gebraucht, denn in der nahegelegenen Salzwüste finden mehrmals im Jahr Hochgeschwindigkeitsrennen statt. Dann brettern LKWs, Autos oder Motorräder wie Raketen über die weiße Fläche. Am letzten Wochenende war so ein Rennen, das haben wir knapp verpasst, aber es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass es in Wendover knallt, wenn so ein Spektakel stattfindet. Bevor wir unsere ersten vorsichtigen Schritte auf dem Salz wagen, schauen wir uns erstmal auf einem verlassenen Armeegelände um, das im 2. Weltkrieg als Fliegerstützpunkt gedient hat und bewundern einen kleinen privaten Autofriedhof.
Die Nacht hier in der Wüste ist ziemlich anstrengend, denn es kühlt sich kaum ab, bei ca. 30 Grad Celsius schwitzen wir mehr, als wir schlafen. Zum Glück ist die Nacht irgendwann zu Ende und direkt nach dem Aufstehen wagen wir uns mit unserem Gefährt tief in die Salzwüste, um ein paar Experimente mit dem Fotoapparat zu machen. Nach kurzer Zeit ist unser Auto und alles, was mal kurz an der frischen Luft war, mit einer dicken Salzkruste bedeckt und aus unseren Flip Flops werden nach und nach Plateauschuhe, weil immer mehr Salz an der Unterseite haften bleibt. Es fühlt sich schon merkwürdig an, da mitten in dem ganzen Weiß und als wir mit unserer Fotosession fertig sind, fällt uns auf, dass wir nicht mehr sagen können, aus welcher Richtung wir gekommen sind. Upps … zum Glück zeigt uns das Navi, in welcher Richtung Wendover liegt.
Nachdem wir dann alles von der dicken Salzkruste befreit haben, düsen wir los Richtung Salt Lake City und in den Bergen kurz vor der Stadt soll es einen traumhaften Campingplatz geben. Soweit zur Theorie, in der Praxis irren wir in den Bergen hin und her und können keinen Campingplatz finden. Wir halten mehrere Autos an und fragen nach, was auf den engen Gebirgsstraßen problematisch genug ist und die Leute schicken uns von Pontius zu Pilatus, doch alle Wege, die wir einschlagen, um unser Ziel zu erreichen, bleiben erfolglos. Also steuern wir die nächste Campinganlage in Salt Lake City an und finden noch ein Plätzchen für unser kleines Zuhause. Happy sind wir mit der Notlösung nicht, ein riesiger Zeltplatz mit jeder Menge merkwürdiger Menschen, kaum einen Quadratmeter für uns, dreckige Sanitäranlagen … also ab ins Auto, schnell geschlafen und direkt bei Sonnenaufgang machen wir uns davon.